Ich, die Welt und mein Garten

Das Gras wächst nicht schneller, wenn du daran ziehst

Wer gerne im Garten herumwerkelt, weiß: Gärtnern lädt zum Philosophieren ein.

In allen Kulturen gehören Gärten zur selbstverständlichen Vorstellung eines guten Lebens für Magen, Geist und Seele. Ursprünglich bedeutete Paradies ummauerter Garten. Mein Garten ist eher mit Arkadien umschrieben, denn mein Stück Land geht nahtlos in Wiesen und in den Wald über. Keine Mauern. Gottseidank.

Eines meiner liebsten Rituale ist barfuß, ungekämmt und noch im Schlafanzug durch den Garten zu schlendern. Und was immer das Leben an Gutem und Schlechtem gerade bereit hält,
Mutter Natur liefert die passenden Antworten.

Eine ihrer Antworten – in unserer schnelllebigen Zeit vielleicht die Wichtigste – lautet: Nichts wächst schneller, wenn du daran ziehst.

Wenn es im Frühling lange kalt und matschig bleibt, ändert auch mein Fluchen nichts an der Tatsache. Auch der Sommer ist in unseren Breitengraden manchmal sonnig und heiß … oder verregnet und kalt; die Ernte fällt kolossal oder mickrig aus, und der Winter kommt, ob ich will oder nicht. Aber sobald ich genauer hinsehe, halten selbst graue Wintertage bezaubernde Kleinode bereit. Hier ein akurates Spinnennetz von winzigen Eiskristallen überzogen, dort vertrocknete Dolden, die so schön sind, wie ihre vergangenen Blüten.

Ich finde es immer wieder tröstlich, dass das Leben zyklisch verläuft. Werden und Vergehen. Neubeginn und Abschied. Immer und immer wieder. Nirgendwo in unserem modernen Leben begegnet mir dieses allgegenwärtige Weltgesetz so ungefiltert wie auf meinen Spaziergängen durch Garten und Wald. Die Jahreszeiten mögen sich von Jahr zu Jahr unterscheiden, der große Zyklus bleibt im Wesentlichen gleich. (Noch! meckert ein durch Medien aufgeklärter, ökolögisch gebildeter, sehr besorgter und hilfloser Teil in mir).

Als leidenschaftliche Gärtnerin verbringe ich Stunden damit, einfach nur in den Garten zu schauen. Mal mit scharfem Blick auf Details, mal mit Weichzeichner Blick, der das Ganze wahrnimmt. Vielleicht stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn dort noch ein weißes Blütenmeer wäre, oder jener Busch dort wüchse. In solchen Momenten geht es um Schönheit und Harmonie. Wie ein Maler sein Bild male ich mit Blattformen und Farben. Auch ein Garten braucht Rhythmus und Spannung. Und das am Besten das ganze Jahr hindurch.

Im Gegensatz zu meinem Maler-Mann, dessen Bilder irgendwann fertig sind, ist mein Gartenbild nie vollendet. Kann es gar nicht sein, weil die Natur ein Eigenleben führt, das sich ständig mit meinen Plänen vermischt. Jedes Jahr bin ich überrascht, wo Selbstaussäher wie Akelei, Lakritzkraut, Etagenprimeln und Silbertaler auftauchen.  Staune, wo überall aus Vogelfuttersamen unbekannte Schönheiten heranwachsen.

Und gleichzeitig zeigt mir dieses kleine Stück Natur, wo meine Grenzen liegen. Klima und Boden in unserem Moos-auen-tal vertragen nicht alle Pflanzen, die ich um ihrer Schönheit Willen gepflanzt habe. Einige waren bald wieder verschwunden. Inzwischen überlasse ich meinen Garten weitgehend der Natur und ihrem unbändigen Drang, nackten Boden mit Grün zu überziehen. Ich vertraue darauf, dass Mutter Natur am ehesten weiß, was einheimische Wildbienen, Hummeln, Schmetterlinge und anderes Getier brauchen.

Arkadien für alle heißt inzwischen einheimische Vogelfutterhecken pflanzen und Wildblumen eine Chance geben. Anstatt arbeitsinstensiver, englischer Landhausrabatten mit hochgezüchteten Blumen (die nützen Bienen und anderen Bestäubern wenig, weil sie an den Nektar vor lauter auf schön gezüchteter Blütenblätter gar nicht mehr rankommen), haben wir jetzt einen Naturgarten aus Selbstausgesätem, überlebenden Stauden aus der englischen Rabattenzeit und vielen Gräsern.

Ja, man muss bei den Wildblumen genauer hinschauen. Sie haben unauffällige Blüten. Dafür machen sie keine Arbeit und manche blühen den ganzen Sommer hindurch. Und viele sehen noch im vertrockneten Zustand wunderschön aus.

Jetzt im Winter sticht das Vergehen hervor. Und es ist schön. Nicht aufmunternd und ins Auge springend schön wie die Sommerblumen, sondern schön, weil es still ist und mich demütig und dankbar macht.

Giersch