Schon der Name klingt nach einem Hollywood Monster. Und wer das Zeug im Garten hat, weiß, dass es sich auch so benimmt. Ahnt, wie verzweifelt ich Jahr um Jahr für meinen Traum eines blühenden Bauerngartens gekämpft habe. Quadratmeterweise habe ich unzählige Körbe voll Gierschwurzeln ausgegraben und die jungen Blätter bis zum Überdruß in Smoothies und zu Ersatzspinat verarbeitet.

Als wolle er sich für meine Aufmerksamkeit bedanken, gedieh der Giersch nur umso üppiger.

Um es vorweg zu nehmen: Ich habe den Kampf verloren. Der Giersch mäandert weiterhin durch die Beete, überwuchert die zarten Keimlinge von Kornblumen, Margariten und Salat. Und doch ist jetzt alles anders.

Und das kam so: Ich bin nicht nur leidenschaftliche Gärtnerin, ich liebe auch Weisheitsgeschichten, die mit einem Augenzwinkern unsere alltäglichen Unzulänglichkeiten aufspießen und ad absurdum führen. Manche dieser Geschichten verleiten zum Lachen, manche machen betroffen und viele haben mich tatsächlich ein wenig weiser gemacht.

Eine meiner Lieblingsgeschichten erzählt, wie Nasrudin, der Till Eulenspiegel Arabiens, einen Garten anlegt. Nicht irgendeinen Garten, sondern einen Blumengarten, um den ihn jeder beneiden sollte. Nach wochenlanger Schufterei war der Boden umgegraben und gedüngt, exotische Stauden und hunderte Tulpen- und Narzissenzwiebel gesetzt und die Samen für die Sommerblumen gesät. Jetzt musste er nur noch gießen und ein wenig warten.
Doch noch bevor die Samen aufgingen, schoss zwischen Narzissen und Tulpen der Löwenzahn hervor. Überall. Tausendfach. Mit langen, widerspenstigen Wurzeln und unbändigem Überlebenswillen. Doch so viel Nasrudin auch grub und hackte, der Löwenzahn war schneller. Auch die Tipps seiner Nachbarn, von erfahrenen Gärtnern und Bauern erwiesen sich als wirkungslos.

Der Löwenzahn trieb Nasrudin in den Wahnsinn.

Als letzte Hoffnung blieb noch der alte Obergärtner des Sultans, dessen Palastgarten nur vom Paradies übertroffen wurde.  Doch als Nasrudin nach einer langen, beschwerlichen Reise bei dem alten Gärtner saß, wusste auch der kein Mittel, das Nasrudin nicht schon ausprobiert hatte. Nach langem Palaver saßen sie still beieinander, jeder in Gedanken versunken.
„Ich hab`s!“ rief der Alte plötzlich und klopfte sich lachend auf die Schenkel. „Es ist ganz einfach: Lerne den Löwenzahn zu lieben.“

Seit gefühlt zwanzig Jahre erzähle ich diese Geschichte oft und gerne in meinen Seminaren, weil – siehe Anfang – solche Geschichten ein Aha! Gefühl auslösen können. „Löwenzahn“ ist schließlich nur ein Synonym für „die Macken deines Freundes“, „deine ungeliebten Schattenanteile“, „deine schiefe Nase“, „die pubertierenden Kinder“.

Schleierhaft bleibt mir, warum ich zwanzig Jahre gebraucht habe, um den doch recht einfachen Übertrag von Löwenzahn auf Giersch hinzukriegen. Doch dann, beim Schlendern durch den Giersch verseuchten Garten, machte es plötzlich „Klick“. Und die Löwenzahn Geschichte fiel wie ein reifer Same in meine trübseligen Giersch-Betrachtungen. Es ist ganz einfach. Lerne den Giersch zu lieben.

Und jetzt sah ich sie, die filigranen, schneeweißen Blütendolden, die auf hohen Stengeln über dem bodendeckenden Grün schwebten. Wie sie die großen, rosa Blütenknäuel der Pfingstrosen umschmeichelten und über den Blättern der weißgrünen Funkien schwebten. So schön. Ungeplante, überraschend elegante Kompositionen. Noch in den dunkelsten Ecken leuchten weiße Gierschdolden.

Das war im Juni vergangenen Jahres. Seitdem greife ich nur noch ein wenig ordnend in den Garten ein. Ich mähe Wege in die Wiese, lasse wachsen, was hier heimisch ist oder sich selbst aussät. Zwischen all dem „Unkraut“ wachsen alte, kräftige Stauden, die sich auch von maßlosem Giersch nicht überwältigen lassen. Meine ehemals mit harter Arbeit erkämpfte „englische Staudenrabatte“ ist jetzt ein pflegeleichter Naturgarten, in dem jegliches Getier in Ruhe leben kann.

Die Wühlmäuse haben inzwischen alle Tulpenzwiebeln und manch ander Wurzel gefressen, was übrig geblieben ist, blüht üppig durch die Jahreszeiten. Wühlmäuse sind jetzt einfach Gartenbewohner, ebenso wie Igel und Schnecken, Molche und Vögel. Für Insekten und Eidechsen muss ich kein Hotel bauen. Unterschlupf findet sich in jeder Ecke. So ein Naturgarten ist nicht nur pflegeleichter, sondern auch ein beliebter Wohnort.

Erwähnt sei noch, dass ich dem Giersch eine Art Friedensvertrag angeboten habe. Ich lasse ihn weitgehenst in Ruhe, dafür hält er sich in einigen Beeten an Grenzen und frisst nicht meine alten, geliebten Stauden.
Ich habe nicht wirklich an den Vertrag geglaubt, aber was soll ich sagen, der Giersch hält sich daran!

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